Ausnahmetatbestand ausgleichswahrende Eigenkündigung des Handelsvertreters
§ 89b (Ausgleichsanspruch) Roth/Kindler, in: Koller/Kindler/Drüen, HGB
10. Auflage 2023 Rn. 16, 16a:
Der Anspruch des Handelsvertreters entfällt nicht, wenn eine Fortsetzung des Vertrages dem Handelsvertreter wegen Alters (regelmäßig das Pensionsalter) oder Krankheit nicht zugemutet werden kann. Der Begriff der Krankheit umfasst wegen Art. 18 lit. b HV-Richtlinie auch Gebrechen (Berufsbehinderungen). Unzumutbarkeit verlangt, dass die Krankheit die Berufsausübung erheblich beeinträchtigt (Hopt Rn. 62). Diese Grundsätze gelten auch für OHG/KG und Ein-Mann-GmbH als Handelsvertreter, für GmbH aber nur, wenn der Vertrag mit der (erkrankten oder gealterten) Person des Geschäftsführers steht und fällt (OLG München DB 2003, 337). Eine Aufgabe der Tätigkeit insgesamt durch den Handelsvertreter bzw. deren erhebliche Reduzierung nach Vertragsende ist nicht Voraussetzung für das Bestehenbleiben des Ausgleichsanspruchs, wohl aber im Rahmen der Billigkeit ggfs. anspruchsmindernd zu berücksichtigen (BGH NJW-RR 1993, 998).
§ 89b (Ausgleichsanspruch) Ströbl, in Münchener Kommentar zum HGB 5. Auflage 2021 Rn. 202:
Die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung wegen des Alters des Handelsvertreters hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ist aber regelmäßig mit dem Erreichen des gesetzlichen Rentenalters bei Nichtselbstständigen zu bejahen. Mit dem Gesetz zur Anpassung an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007 (Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz – RVAGAnpG) wurden die Grenzen der gesetzlichen Altersrente von 65 auf 67 Jahre schrittweise verschoben.
Ein Arbeitnehmer, der ab dem 1.1.1964 geboren wurde, darf beispielsweise erst mit dem Erreichen des 67. Lebensjahres eine Regelaltersrente ohne jegliche Abschläge beantragen. Die gesetzgeberische Wertung, dass der Arbeitnehmer mit Erreichen des 65. bzw. 67. Lebensjahres vom aktiven Arbeitsleben in den Ruhestand übergehen darf, findet auch im Handelsvertreterrecht Anwendung. Vor Vollendung dieser Altersgrenze kommt eine ausgleichserhaltende Eigenkündigung des Handelsvertreters wegen Alters nur bei Vorliegen besonderer Umstände, wie beispielsweise einer körperlichen Behinderung, in Betracht. Da die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung mit Erreichen der Rentenaltersgrenze voraussehbar ist, darf die Eigenkündigung nicht als außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden. Geschieht dies dennoch, wird nicht alleine dadurch der Ausgleichsanspruch ausgeschlossen.
Darlegungslast bei Unzumutbarkeit wegen Krankheit
BGH, Urteil vom 29.04.1993 – I ZR 150/91 = NJW-RR 1993, 996
Zu den Anforderungen an den Vortrag des klagenden Vertragshändlers zur Frage der Unzumutbarkeit der Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen Krankheit (§ 89b III Nr. 1 Alt. 2 HGB). Die Fortsetzung der Tätigkeit des Vertragshändlers nach Kündigung des Vertragsverhältnisses wegen Krankheit (§ 89b III Nr. 1 Alt. 2 HGB) schließt den Ausgleichsanspruch nicht aus, wenn die Voraussetzungen dieser Regelung objektiv vorliegen.