Ausgleich: begründeter Anlass
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HGB – Ausgleich besteht trotz Kündigung durch den Handelsvertreter
wenn ein Verhalten des Unternehmers hierzu begründeten Anlaß gegeben hat
Art. 18 lit. b RL – Ausgleich besteht trotz Kündigung durch den Handelsvertreter
wenn diese Beendigung aus Umständen geschehen ist, die dem Unternehmer zuzurechnen sind
Der Handelsvertreter sollte nicht von sich aus kündigen, da er dadurch grundsätzlich seinen Ausgleichsanspruch verliert.
Der Ausgleich entfällt jedoch nicht, falls ein Verhalten des Unternehmers zur Kündigung des Handelsvertreters begründeten Anlass gab (Ausnahme).
Diese Ausnahme von der Ausgleichsschädlichkeit bei Eigenkündigungen des Handelsvertreters ist oft nicht bekannt. Dabei verschafft diese wichtige gesetzliche Regelung dem Handelsvertreter doch eine Möglichkeit, sich von dem vertretenen Unternehmen aus eigener Machtvollkommenheit zu trennen, und den Ausgleichsanspruch trotzdem nicht zu verlieren. Daher gilt es dieser gesetzlichen Regelung besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Es ist daher die Frage danach zu stellen, welches Verhalten eines vertretenen Unternehmers einen solchen begründeten Anlass zur ausgleichswahrenden Eigenkündigung abgibt.
Ein begründeter Anlass liegt zumindest immer dann vor, sofern ein wichtiger Grund zur Kündigung wegen eines Verhaltens des Unternehmers gegeben wäre.
Jedoch auch dann, falls eben noch kein wichtiger Grund sondern ein begründeter Anlass als „Minus“ vorlag.
Anders gewendet bedeutet dies:
wenn der Handelsvertreter einen begründeten Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB geltend machen kann, besitzt er nicht notwendigerweise auch einen mit einer wesentlich höheren Schwelle versehenen „wichtigen Grund“ zur außerordentlichen Kündigung nach § 89a HGB.
Nach dem HGB (anders jedoch Art. 18 der Richtlinie) ist erforderlich, dass der begründete Anlass in einem Verhalten des Unternehmers seinen Ursprung findet.
Entscheidend ist, dass durch das Verhalten des Unternehmers, welches einen gesetzlich anerkannten Anlass zur Kündigung abgibt, dem Handelsvertreter bei der Abwägung, ob er sein Vertragsverhältnis lösen oder aber es durchhalten solle, das letztere als das weniger zumutbare erscheinen darf.
Die herrschende Meinung hierzu nimmt einen begründeten Anlass zur Kündigung an, falls der Handelsvertreter durch ein Verhalten des Unternehmers in eine für ihn nach Treu und Glauben nicht haltbare Lage kommt (BGHZ 40, 15; BGH NJW 1967, 2153; NJW 1987, 778; 1996, 848; OLG Hamm, Beschl. v. 4.6.2012 – 18 U 213/11, BeckRS 2014, 08705; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.9.2008 – 16 U 217/06, BeckRS 2010, 04763; OLG Köln, Urt. v. 28.3.2014 – 19 U 143/12, BeckRS 2014, 10602; v. 15.12.2006 – 19 U 93/06, BeckRS 2007, 00089; Hopt § 89b Rn 57; Ensthaler/Genzow § 89b Rn 49; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 163). Das dürfte angesichts der Formulierung der RL zu eng sein, insbesondere vor dem Hintergrund der geforderten handelsvertreterfreundlichsten Auslegung (EuGH).
Anderer Ansicht ist daher Löwisch (Ebenroth/Löwisch, 2. Aufl., § 89b Rn 48 unter Berufung auf OLG Düsseldorf OLGR 2000, 406 (408 f.):
es genüge bei objektiver Würdigung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, dass die dem Unternehmer anzulastenden Gegebenheiten die einseitige Beendigung des auf unbestimmte Zeit geschlossenen Handelsvertreter-Vertrags durch den Handelsvertreter gerechtfertigt erscheinen lassen, wozu es ausreicht, dass aus der Sicht eines normalen Handelsvertreters bei gerechter und billiger Abwägung der Gegebenheiten die Gründe für eine Vertragsbeendigung überwiegen und dem Unternehmer danach eine sofortige außerordentliche oder fristgerechte ordentliche Beendigung des Vertrags eher zuzumuten ist, als dem Handelsvertreter eine Fortsetzung des Vertrages.
Es muss sich bei dem begründeten Anlass insbesondere auch nicht um eine (schwere) Existenzgefährdung handeln, wenn nur dem Handelsvertreter nicht zuzumuten ist, das Vertragsverhältnis über die normale Kündigungsfrist hinaus fortzusetzen
Die ausgleichserhaltende Kündigung muss nach dem HGB wegen eines Verhaltens des Unternehmers erklärt worden sein.
Das Erfordernis eines Unternehmerverhaltens soll zum Ausdruck bringen, dass keine Umstände, die außerhalb des Einflussbereiches des Unternehmers liegen, wie etwa höhere Gewalt, den Handelsvertreter zu einer ausgleichswahrenden Kündigung berechtigen.
Dem Unternehmer sind alle in seiner Sphäre liegenden Umstände, auch das Verhalten von Mitarbeitern oder Erfüllungsgehilfen (persönliches Verhalten also nicht erforderlich), zuzurechnen.
Das „Verhalten“ des Unternehmers ist ebenso wie das Merkmal des begründeten Anlasses weit auszulegen und kann in einem Tun oder einem Unterlassen bestehen.
Art. 18 lit. b der RL fordert sogar lediglich, dass die Vertragsbeendigung aus Umständen gerechtfertigt ist, welche dem Unternehmer zuzurechnen sind und deretwegen dem Handelsvertreter eine Fortsetzung seiner Tätigkeit billigerweise nicht zugemutet werden kann.
Der vom EuGH (Urt. v. 26.3.2009 – Rs.C-348/07, DStR 2009,759) geforderten freundlichsten Auslegung der RL entspricht es, alle Umstände aus dem Gefahrenbereich des Unternehmers genügen zu lassen. Die Betonung liegt somit nicht auf einem Verhalten des Unternehmers, sondern auf Umständen, die dem Unternehmer zuzurechnen sind.
Angesichts des Billigkeitsgrundsatz genügt sogar ein rechtmäßiges, unverschuldetes bzw. vertragsgemäßes Verhalten des Unternehmers, etwa die Einstellung bestimmter Produktlinien durch ihn. Objektiv vertragswidrig braucht sein Verhalten damit nicht zu sein.
Die Rechtsprechung musste sich wiederholt mit der Auslegung des Begriffes des „begründeten Anlasses“ zur ausgleichswahrenden Eigenkündigung befassen. Daher ist es ratsam die bisher in Rechtsprechung un Literatur aufgezigeten Grundsätze näher zu betrachten
Begründeter Anlass
Ausgleichsanspruch bleibt bestehen
Kündigung wegen
Abtrennung vom EDV-System; Außervertragliches Verhalten; – kleinere Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten; einseitig durch „Teilkündigung“ verfügte Verkleinerung des Bezirks; die Herabsetzung des Provisionssatzes; überspannte Berichtsforderungen, etwa die Forderung nach täglichen oder auch wöchentlichen Berichten; ultimatives Verlangen einer auch bei größter Anstrengung nicht hereinzuholenden; ungerechtfertigte Vorwürfe des Unternehmers; Verkauf des Unternehmens des Prinzipals (OLG Nürnberg, Hinweisbeschl. v. 28.1.2011 – 12 U 744/10, BeckRS 2011, 04747); unberechtigte Verkleinerung des Vertragsgebietes; Verweis von Kunden und Mitarbeitern an andere Ansprechpartner; Versuche des Unternehmers, die Unabhängigkeit des Vertreters durch „Weisungen“ ungebührlich einzuschränken (OLG Oldenburg DB 1964, 105).
Kündigung wegen
Aufgabe einer Suchanzeige für einen Nachfolger; allein wirtschaftliche Gründe; Prinzipal verhält sich vertragskonform
Wann muss gekündigt werden?
Eine Frist zur Kündigungserklärung sieht das Gesetz nicht vor. Auch bei Vorliegen eines dem Unternehmer zurechenbaren Umstandes, der dem Handelsvertreter begründeten Anlass zur Kündigung bzw. vorzeitigen Auflösung gibt, ist es jedoch erforderlich, dass dieser Umstand innerhalb angemessener Zeit nach Kenntnis zur Kündigung führt.
angemessen Zeit nach Kenntnis
Wann diese angemessen Zeit abgelaufen ist, ist schwierig zu bestimmen. Zögert der Handelsvertreter zu lange, lässt sich daraus möglicherweise herleiten, ihn habe das Verhalten des Unternehmers nicht in einer „begründeten Anlass“ gebenden Weise belastet. Gesichtspunkt der Verwirkung.
Nachschieben von Gründen
Der Handelsvertreter braucht sich nicht darauf zu berufen, dass er aus begründetem Anlass kündigt. Er braucht ihn nicht einmal zu kennen.Es genügt die tatsächliche Existenz des begründeten Anlasses. Der Unternehmer gewinnt Klarheit, wenn der Ausgleich geltend gemacht wird.
Anwalt für Handelsvertreterrecht
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Rechtsanwalt Norbert Wolff
Seit 28 Jahren Anwalt für Handelsvertreterrecht. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und München. Tätigkeit bei einer Bundesbehörde und als Richter mit einer Abordnung an ein Landes-Justizministerium. Von 1995 bis September 2023 Geschäftsführer eines Handelsvertreterverbandes mit beratender und forensischer Tätigkeit. 28 Jahre Prozesserfahrung bei der Geltendmachung von Ausgleichsansprüchen nach § 89b Handelsgesetzbuch (HGB) und der Geltendmachung von Buchauszügen und Provisionsansprüchen.