Soweit ein Handelsvertreter nur kurze Zeit für ein vertretenes Unternehmen tätig ist, beispielsweise nur 6 Monate, stellt sich das Problem, ob nach so kurzer Vertragsdauer ein Ausgleichsanspruch besteht und eine Zahlung des Ausgleichs der Billigkeit entspricht.
Auszugehen ist zunächst vom Gesetzestext,
§ 89b Abs. 2 HGB:
Der Ausgleich beträgt höchstens eine nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des Handelsvertreters berechnete Jahresprovision oder sonstige Jahresvergütung; bei kürzerer Dauer des Vertragsverhältnisses ist der Durchschnitt während der Dauer der Tätigkeit maßgebend.
Keine temporäre Voraussetzung eines Ausgleichsanspruchs
Der Gesetzestext enthält in dieser Hinsicht keine Einschränkung des Ausgleichsanspruchs. Im Gegenteil: Der Gesetzestext spricht an, dass ein Fünfjahresschnitt oder kürzere Vertragsdauer zugrundegelegt werden kann. Da die „kürzere Vertragsdauer“ nicht limitiert ist, lässt das gesetzliche Regime daher zu, dass Ausgleichsansprüche auch bei sehr kurzer Vertragsdauer zur Entstehung gelangen können. Korrigiert werden kann daher allenfalls über Billigkeitsgesichtspunkte.
Der Ausgleich beträgt höchstens eine nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des Handelsvertreters berechnete Jahresprovision oder sonstige Jahresvergütung; bei kürzerer Dauer des Vertragsverhältnisses ist der Durchschnitt während der Dauer der Tätigkeit maßgebend. Die Vertragsdauer betrug vorliegend 3 Monate, somit eine kürzere Vertragsdauer als 5 Jahre (monatlich bezog der Handelsvertreter 11 250 DM die durchschnittliche Jahresprovision beträgt somit 135 000 DM).
Diese wurde jedoch vom Handelsvertreter nicht erzielt, weil die Tätigkeit nicht ein Jahr andauerte. Fraglich ist daher, ob „hochgerechnet“ werden kann und darf. Im hier entschiedenen Rechtsstreit spielte diese Frage keine Rolle, da der Höchstbetrag den Rohausgleich deutlich überstieg.
Ein Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB besteht – nach damaliger Rechtslage -, wenn
(1) der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat,
(2) der Handelsvertreter infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Ansprüche auf Provision verliert, die er bei Fortsetzung des Vertragsverhältnisses aus bereits abgeschlossenen oder künftig zu Stande gekommenen Geschäften mit den von ihm geworbenen Kunden hätte, und
(3) die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entspricht.
Diese Voraussetzungen liegen – so das Landgericht – vor. Der Unternehmer hat aus den Geschäftsverbindungen mit Neukunden erhebliche Vorteile, weil er bereits nach seinem eigenen Vortrag mit diesen von dem Handelsvertreter geworbenen bzw. mitgebrachten Kunden im Jahr 1998 mehr als 200 000 DM Umsatz erzielte. Für die Frage, ob diese Vorteile erheblich sind, kommt es nicht auf das Verhältnis dieses Umsatzes zum Gesamtumsatz des Unternehmens des Unternehmens an.
Der Umsatz ist in seinem konkreten Umfang jedenfalls nicht derart vernachlässigenswert, dass er nicht als nennenswerter Vorteil i.S. von § 89b HGB angesehen werden kann. Dem Handelsvertreter sind durch die Kündigung auch Ansprüche auf Provisionen verloren gegangen, nämlich zunächst 11 250 DM netto monatlich. Selbst wenn man entsprechend dem Vortrag des Unternehmers unterstellt, dass dieses Fixum nicht allein wegen der Betreuung der mitgebrachten Kunden gezahlt worden ist, sondern weitere Aktivitäten erwartet worden sind und deshalb im Wege einer Schätzung nach § 287 ZPO lediglich die Hälfte dieser Vergütung auf die Neukunden verrechnet, ergibt sich ein Provisionsverlust von monatlich 5625 DM. Dieser Provisionsverlust, dem im Wesentlichen der Vorteil des Unternehmers in der Berechnung entspricht, kann ausgehend von dem Vortrag des Bekl. weiter reduziert werden. Geht man zu Gunsten des Bekl. und an sich gegen seinen eigenen Vortrag ausgehend von dem Vortrag des Kl. davon aus, dass es sich bei den von dem Kl. erzielten Umsätzen nicht um saisonbedingt hohe, sondern stabile Umsätze gehandelt hat, entspräche diesem Provisionsverlust ein Umsatz von ca. 650 000 DM jährlich, der sich nach dem Vortrag des Bekl. im Jahr 1998 auf etwa ⅓, insbesondere durch die Umorganisation bei den S-Tankstellen, reduziert hätte. Bei dieser Berechnung ist der Provisionsverlust des Kl. immer noch auf monatlich 1875 DM zu schätzen sodass sich über einen angemessenen Prognosezeitraum von drei Jahren und einer unterstellten weiteren jährlichen Schwundquote von 20% immer noch ein höherer durchschnittlicher Provisionsverlust als der von dem Kl. mit monatlich 1250 DM bezifferte Verlust, = etwa 1/10 der vertraglichen Vergütung, ergibt. Unter Berücksichtigung der von dem Kl. vorgenommenen Abzinsung, die in etwa einem angemessenen Abzinsungsfaktor von 4% jährlich entspricht, ist deshalb der Ansatz von 40 500 DM netto nicht zu beanstanden. Dieser Betrag gibt den Mindestbetrag dessen wieder, was als Vorteil des Bekl. und Provisionsverlust des Kl. angesetzt werden kann.
Billigkeitsgesichtspunkte, die eine Kürzung dieses Anspruchs rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere rechtfertigt die Kürze der Vertragslaufzeit nicht eine Herabsetzung, weil der Kl. bereits innerhalb dieser kurzen Vertragslaufzeit die Kunden sämtlich gebracht hat, die den verbleibenden Vorteil des Bekl. ausmachen. Auch das hohe Fixum, das der Vergütung entsprach, die der Kl. von seinem früheren Vertragspartner erhielt, rechtfertigt keine Kürzung des Ausgleichsanspruchs. Selbst wenn man unterstellt, dass dieses Fixum so hoch ausfiel, weil die in der Übertragung des Kundenstamms durch den Kl. liegende zusätzliche Leistung vergütet werden sollte, wurde es jedoch dem Kl. nur über einen geringen Zeitraum gezahlt, sodass nicht gesagt werden kann, mit dieser Zahlung sei der Vorteil der Kundenübertragung bereits ausgeglichen worden. Eine Beschränkung des Anspruchs ergibt sich nicht aus § 89b Abs. 2 HGB, da die Jahresvergütung des Kl. bei weitem höher lag. Dabei ist die gezahlte Vergütung insgesamt zu berücksichtigen und auf ein Jahr hochzurechnen.
Landgericht Freiburg Urteil vom 28. 5. 1999 - 12 O 140/98
(BeckRS 1999, 8041):
Tenor der Entscheidung: Dem Handelsvertreter steht der geltend gemachte Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB zu. Er war als Handelsvertreter für das vertretene Unternehmen 3 Monate tätig. Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs durch den Handelsvertreter ist nicht zu beanstanden. Vortrag und Rechengang des Handelsvertreters:
Vergütung
10 000 DM monatliche Fest-Vergütung
zuzüglich 1 250 DM monatliche Garantieprovision
Rohausgleich
3 Jahre Prognose unter Zugrundelegung der Garantieprovision
= 45 000 DM
Ergebnis
abzüglich 10 % Abzinsung
= 40 500 DM (zuzüglich Mehrwertsteuer) Ausgleichsanspruch
Den Bruttobetrag hat das Landgericht dem Handelsvertreter als Ausgleichsanspruch gemäß § 89b HGB zugesprochen. Nur am Rande sei bemerkt, dass der Höchstbetrag vom Landgericht nicht geprüft wurde.
Fraglich ist an dieser Stelle nämlich, wie der Höchstbtrag zu berechnen gewesen wäre:
Exkurs: Höchstbetragsberechnung nach
§ 89b Abs. 2 HGB:
Gesamtvergütung
monatlich bezog der Handelsvertreter insgesamt 11 250 DM
Jahresprovision
die durchschnittliche Jahresprovision beträgt
somit 135 000 DM (12 x 11 250 DM)
Berechnung
Der Handelsvertreter war für den Unternehmer drei Monate tätig und erhielt eine monatliche Handelsvertretervergütung von 10 000 DM netto. Hinzu trat eine jährliche Garantieprovision in Höhe von 15 000 DM netto, zahlbar monatlich als Abschlagszahlung in Höhe von 1250 DM netto. Weitere Provisionen sollten nicht gezahlt werden. Der Handelsvertreter nahm seine Tätigkeit für den Unternehmer Mitte September 1997 auf. Zuvor war er für eine Konkurrenzfirma tätig.
Den während dieser Tätigkeit aufgebauten Kundenstamm warb er für den Unternehmer. Von dem vertretenen Unternehmen erhielt er keinen Kundenstamm übertragen. Mit Schreiben vom 15. 12. 1997 kündigte der Unternehmer den Handelsvertretervertrag vertragsgemäß zum 31. 12. 1997.
Die Umsatzstatistiken des Unternehmens weisen für den Handelsvertreter im Monat Oktober 1997 einen Nettoumsatz von 47 783,94 DM für den Monat November einen Umsatz von 54 817,38 DM bzw. 55 793,76 DM und für den Monat Dezember von 72 327,61 DM aus.
Der Handelsvertreter behauptet, er habe mehr als 40 Neukunden neu geworben bzw. dem Unternehmen zugeführt.
Seinen Provisionsverlust infolge der Kündigung berechnet der Handelsvertreter ausgehend von der vereinbarten Vergütung mit 11 250 DM netto. Für die Berechnung seines Handelsvertreterausgleichsanspruchs legt er jedoch nur den im Vertragsanhang als Garantieprovision bezeichneten Anteil von monatlich 1250 DM netto zu Grunde, den er mit 45 000 DM auf 36 Monate hochrechnet. Abzüglich 10% als Abzinsungsfaktor errechnet der Handelsvertreter einen Anspruch von 40 500 DM zuzüglich Mehrwertsteuer. Der Handelsvertreter begehrt von dem Unternehmen Zahlung von 46 980 DM. Der Unternehmer wendet ein, er habe den Handelsvertretervertrag noch während der Probezeit gekündigt, weil sich die Aktivitäten des Handelsvertreters darin erschöpft hätten, „mitgebrachte” Kunden auf seine Firma zu übertragen. Den hohen Kosten hätten keine nennenswerten Gegenleistungen gegenüber gestanden. Im Hinblick auf die Kürze der Vertragsdauer und im Hinblick auf den geringen Provisionsanspruch könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass ihm ein erheblicher Vorteil aus der Tätigkeit des Handelsvertreters erwachsen sei. Im Januar 1998 habe sich aus den mitgebrachten Kunden ein Umsatz von 35 504,57 DM, im Februar 1998 von 29 979,95 DM, im März 1998 von 33 863 DM und im April 1998 von 19 669,93 DM ergeben. Für das gesamte Jahr 1998 ergebe sich ein Gesamtumsatz aus den durch den Handelsvertrer betreuten Kunden von 236 676 DM, nicht einmal 0,5% des Gesamtumsatzes des Unternehmens. Die Obergrenze einer Jahresprovision sei deshalb bei 15 000 DM netto erreicht. Im Hinblick auf die Kürze der Vertragsdauer sowie den sehr hohen Zahlungsbetrag entspräche zudem noch nicht einmal eine hälftige Jahresprovision der Billigkeit.
Kritik?
Gegebenenfalls muss durch den Gesichtspunkt der Billigkeit eine Korrektur erfolgen. Welche Billigkeitskriterien können gefunden bzw. bedacht werden?
- Zunächst wohl das Naheliegendste:
Die kurze, ja nachgerade sehr kurze Vertragsdauer
(3 Monate) Die hohen – monatlich garantierten – Bezüge
- Die Inaktivität bei der Altkundenbetreuung
- Der schnell erlangte Vorteil des Unternehmens bei der neuen Kundenanbindung, Kunden die vormals bei der Konkurrenz kauften
Abwägung
Die so aufgefundenen Billigkeitskriterien bedürfen einer Wertung und müssen gegeneinander abgewogen werden. Bei der Wertung der einschlägigen Kriterien ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Es ist der Maßstab eines außenstehenden Dritten auf das konkrete individuelle Rechtsverhältnis anzulegen.
Schutzwürdige Belange
Dabei ist zu prüfen, ob bestimmte Interessen überhaupt schutzwürdig sind oder nicht, ob ein Gesichtspunkt anspruchsmindernd oder -erhöhend wirkt und welches Gewicht dem jeweiligen Billigkeitskriterium beizumessen ist.
Kurze Vertragsdauer
Objektiv war die Vertragsdauer sehr kurz. Ein außenstehender Dritter könnte daher meinen, dem Handelsvertreter blieb keine Zeit, um seinen neuen Vertrag richtig in Gang zu bringen, also gute Vertriebstätigkeit überhaupt zeigen zu können und sich zu bewähren. Mögliche Verdienstchancen konnten nicht ausgenutzt werden. Dies spricht dafür, den Ausgleichsanspruch jedenfalls nicht zu schmälern. Bei einer kurzen Vertragsdauer – insb. im Falle des Einführungsvertreters –, könnte berücksichtigt werden, dass der Handelsvertreter noch nicht Gelegenheit gehabt hat, seine Investitionen, Mühewaltung und Kosten durch Provisionen hereinzuholen.
Die vorgenannten Interessen des Handelsvertreters an einer zumindest angemessenen Ausübungszeit der Handelsvertretung sind daher ggfs. schutzwürdig.
Gegebenenfalls muss durch den Gesichtspunkt der Billigkeit eine Korrektur erfolgen. Welche Billigkeitskriterien können gefunden bzw. bedacht werden?
- Zunächst wohl das Naheliegendste:
Die kurze, ja nachgerade sehr kurze Vertragsdauer
(3 Monate) Die hohen – monatlich garantierten – Bezüge
- Die Inaktivität bei der Altkundenbetreuung
- Der schnell erlangte Vorteil des Unternehmens bei der neuen Kundenanbindung, Kunden die vormals bei der Konkurrenz kauften
Abwägung
Die so aufgefundenen Billigkeitskriterien bedürfen einer Wertung und müssen gegeneinander abgewogen werden. Bei der Wertung der einschlägigen Kriterien ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Es ist der Maßstab eines außenstehenden Dritten auf das konkrete individuelle Rechtsverhältnis anzulegen.
Schutzwürdige Belange
Dabei ist zu prüfen, ob bestimmte Interessen überhaupt schutzwürdig sind oder nicht, ob ein Gesichtspunkt anspruchsmindernd oder -erhöhend wirkt und welches Gewicht dem jeweiligen Billigkeitskriterium beizumessen ist.
Kurze Vertragsdauer
Objektiv war die Vertragsdauer sehr kurz. Ein außenstehender Dritter könnte daher meinen, dem Handelsvertreter blieb keine Zeit, um seinen neuen Vertrag richtig in Gang zu bringen, also gute Vertriebstätigkeit überhaupt zeigen zu können und sich zu bewähren. Mögliche Verdienstchancen konnten nicht ausgenutzt werden. Dies spricht dafür, den Ausgleichsanspruch jedenfalls nicht zu schmälern. Bei einer kurzen Vertragsdauer – insb. im Falle des Einführungsvertreters –, könnte berücksichtigt werden, dass der Handelsvertreter noch nicht Gelegenheit gehabt hat, seine Investitionen, Mühewaltung und Kosten durch Provisionen hereinzuholen.
Die vorgenannten Interessen des Handelsvertreters an einer zumindest angemessenen Ausübungszeit der Handelsvertretung sind daher ggfs. schutzwürdig.
Anwalt für Handelsvertreterrecht
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Autor Rechtsanwalt Norbert Wolff
Seit 28 Jahren Anwalt für Handelsvertreterrecht. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und München. Tätigkeit bei einer Bundesbehörde und als Richter mit einer Abordnung an ein Landes-Justizministerium. Von 1995 bis September 2023 Geschäftsführer eines Handelsvertreterverbandes mit beratender und forensischer Tätigkeit. 28 Jahre Prozesserfahrung bei der Geltendmachung von Ausgleichsansprüchen nach § 89b Handelsgesetzbuch (HGB) und der Geltendmachung von Buchauszügen und Provisionsansprüchen.