Handelsvertreter vs. Scheinselbstständiger

Grundregel § 84 HGB

Handelsvertreter ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. 

Selbständig ist, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.

Selbständiger Gewerbetreibender

Diese Worte grenzen zum Anstellungsvertrag ab

(§ 84 Abs. 2 HGB). Scheitert die Einordnung als Vertretervertrag an der Abwesenheit jener Merkmale, bleibt der Vertriebsmittler Angestellter. Das ergibt sich 
– zwingend – aus § 84 Abs. 2 HGB. Eine Zwischenform, zwischen Handelsvertreter und Reisendem, oder gar die Anwendung eines „Basis-Vermittler-Rechts“, resultierend aus den §§ 675 ff. BGB i.V.m. §§ 611 ff. BGB, ist vom Gesetz nicht gewollt und existiert nicht
(Schürr in: Küstner/Thume I, Kap. I Rn 52).

Nur der Handelsvertreter kann einen Anspruch auf einen Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB haben. Ein Angestellter hat diesen Anspruch nicht.

Scheinselbstständigkeit
und arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit

sind zwei völlig unterschiedliche Konzepte im deutschen Arbeitsrecht, die sich auf die Beschäftigungsform von Selbstständigen beziehen. Obwohl sie ähnlich erscheinen, gibt es wesentliche Unterschiede zwischen beiden Begriffen.

Scheinselbstständigkeit

Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn eine Person formal als Selbstständiger auftritt, tatsächlich aber wie ein Arbeitnehmer behandelt wird. Die Scheinselbstständigkeit ist in Deutschland gesetzlich verboten, da sie darauf abzielt, die Rechte eines Arbeitnehmers zu umgehen, wie etwa den Anspruch auf Sozialversicherung und Kündigungsschutz.

Merkmale der Scheinselbstständigkeit:

Weisungsgebundenheit: Der „Selbstständige“ ist in die Betriebsabläufe des Auftraggebers eingebunden und unterliegt dessen Weisungen, ähnlich einem Arbeitnehmer. Arbeitsort und -zeit: Der Auftraggeber bestimmt, wo und wann der Selbstständige arbeitet. Keine unternehmerischen Risiken: Der „Selbstständige“ trägt kein eigenes wirtschaftliches Risiko und erhält eine feste Vergütung, unabhängig vom Arbeitserfolg. Ein-Kunden-Abhängigkeit: Oft arbeitet der Scheinselbstständige fast ausschließlich für einen einzigen Auftraggeber.

Folgen der Scheinselbstständigkeit sind u.a.:

– Sozialversicherungsbeiträge müssen nachgezahlt werden (durch Arbeitgeber).

– Strafrechtliche Konsequenzen und Bußgelder für den Auftraggeber.

– Der „Selbstständige“ kann rückwirkend als Arbeitnehmer eingestuft werden

Arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit

Eine arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit bedeutet, dass eine Person formal selbstständig ist, aber in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit zu nur einem Auftraggeber steht. Im Gegensatz zur Scheinselbstständigkeit gilt dies jedoch nicht als Umgehung von Arbeitnehmerrechten. Arbeitnehmerähnliche Selbstständige haben nicht die vollen Rechte eines Arbeitnehmers, aber sie genießen bestimmte Schutzmechanismen.

Merkmale der arbeitnehmerähnlichen Selbstständigkeit:

Wirtschaftliche Abhängigkeit: Der Selbstständige erzielt den Großteil seines Einkommens von einem einzigen Auftraggeber (in der Regel deutlich mehr als 50 %). Kein Weisungsrecht: Der Auftraggeber hat nicht die gleichen Weisungsbefugnisse wie bei einem Arbeitnehmer. Der Selbstständige kann in der Regel frei entscheiden, wie er seine Arbeit erledigt. Freie Zeiteinteilung und Arbeitsort: Der Selbstständige hat eine größere Flexibilität hinsichtlich Arbeitszeit und -ort als ein Arbeitnehmer. Unternehmerisches Risiko: Der Selbstständige trägt in der Regel das wirtschaftliche Risiko und haftet für die erbrachten Leistungen.

Rechte der arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen:

– Anspruch auf Sozialversicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.

– Geltendmachung von Mindestschutzrechten, etwa nach dem Arbeitszeitgesetz oder dem Arbeitsschutzgesetz.

– Anspruch auf bezahlten Urlaub oder ähnlichen Arbeitnehmerrechten haben sie jedoch nicht.

Fazit:

Scheinselbstständigkeit ist ein illegaler Zustand, bei dem eine Person zwar selbstständig genannt wird, aber wie ein Arbeitnehmer behandelt wird.

Arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit beschreibt hingegen Selbstständige, die in Abhängigkeit von einem Auftraggeber stehen, jedoch in ihrer Tätigkeit weitgehend selbstständig sind.

Selbstständigkeit

Freie Zeiteinteilung
Arbeitszeit selbst bestimmbar
= Zeitsouveränität

01

Eigener Herr

Selbständigkeit liegt gemäß § 84 Abs. 1 S. 2 HGB vor, wenn der Repräsentant „im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen“ kann, also in beiden Punkten „sein eigener Herr“ ist.

02

Konkretisierung

Einigkeit besteht darin, dass die knappe und unscharfe gesetzliche Definition in § 84 Abs. 2 HGB zur Eingrenzung der Selbständigkeit kaum geeignet ist und der Konkretisierung bedarf. Anders gewendet: Wann ist man sein eigener Herr?

vertragliche ausgestaltung allein irrelevant

Die Bezeichnung der Parteien als Handelsvertreter oder Angestellter im Vertrag ist weitgehend irrelevant. Ob Selbständigkeit vorliegt bestimmt sich unter Gesamtwürdigung aller Umstände und des Gesamtbildes der vertraglichen Gestaltung und der tatsächlichen Handhabung.

Wie wird der vertrag
"in praxi"
gelebt

Selbständigkeit meint die „rechtliche“ oder „persönliche“ Freiheit in Ausübung der Tätigkeit
(§ 84 Abs. 1 S. 2) im Gegensatz zur „wirtschaftlichen“, welche bei jedem Vertragsverhältnis und auch bei selbständigen Kaufleuten und Unternehmern fehlen kann.

Merkmale die nur in geringem Maße für Selbständigkeit sprechen

In diesen Bereich fallen insbesondere formelle und willkürlich festgelegte Merkmale, also etwa

  • Benennung als Handelsvertreter
  • eigene Buchführung
  • Eintragung in das Handelsregister
  • Eintragung in das Gewerberegister sowie Anmeldung des Agenturgewerbes nach 14 GewO bei der zuständigen Behörde
  • Auftreten unter eigener Firma
  • Benutzung eigener Briefbögen mit der Firma des Handelsvertreters
  • Fehlen von Dienststunden (solche sind weder für angestellte noch für selbständige Mittler typisch)
  • Nichteinbindung in das Abrechnungssystem des Unternehmers
  • Veranlagung zur Gewerbesteuer
  • nebenberufliche Tätigkeit
  • Mitgliedschaft in der IHK und Zahlung von Beiträgen

Merkmale die in höherem Maße für Selbständigkeit
sprechen

In diesen Bereich fallen insbesondere folgende entweder „gelebte“ oder geregelte Merkmale, also etwa

  • Freiheit in Arbeitszeit, Arbeitsumfang und Arbeitsgestaltung
  • Falls der Mittler seine Kundenbesuche nach eigener Initiative und eigenem Gutdünken einrichten kann und hierbei nach Belieben auch ganze Tage auslassen darf
  • Existenz eines eigenen Unternehmens mit eigenen unternehmerischen Chancen
  • Korrelation zwischen unternehmerischen Chancen und Übernahme von Kosten und angemessenen und freiwilligen Risiken der Geschäftstätigkeit (Unternehmerrisiko), etwa Verlust des Einsatzes von Arbeitskraft und Geldmitteln bei Erfolglosigkeit der Vermittlungsbemühungen, keine Provision bei Stornierung des Auftrags (§ 87a A 2; Abs. 3 S. 2)
  • keine Absicherung gegen Einnahmeausfall bei Krankheit

Merkmale mit starker Wirkung für Selbständigkeit

  • Vertretung mehrerer Unternehmer jedenfalls dann, wenn die einzelnen Vertretungen wirtschaftlich gleich ertragreich sind und keine wirtschaftlich-faktische Identität oder gesellschaftsrechtliche Verflechtung zwischen den Unternehmern besteht
  • Unfähigkeit zur Erfüllung der Vertragspflichten ohne eigene Hilfskräfte
  • Selbst ausgesuchtes eigenes Personal bzw. das Recht solches einzustellen, etwa die Erlaubnis, Untervertreter bestellen zu dürfen

Merkmale mit zwingender Wirkung für Selbständigkeit

  • Vertragsschluss als juristische Person oder Gesamthandsgemeinschaft
  • In einem solchen Fall spricht das formelle Kriterium für Selbständigkeit, es sei denn, es liegt ein Umgehungsfall vor 

Gegen die Selbständigkeit sprechende Merkmale

Es kommt jeweils auf das Gesamtbild der vertraglichen und tatsächlichen Handhabung an!

Merkmale mit gewissem Gewicht

  • Fehlende Abrechnung über Provisionen
  • Umstände der Dienstleistung
  • die zeitliche Beschränkung der Reisetätigkeit
  • Vom Unternehmer vereinbarte Gesprächstermine mit Kunden
  • Vorgabe des Unternehmers, pro Woche 15–20 Kunden besuchen zu müssen, davon mindestens 3–4 in den Abendstunden. Nach Ansicht des BAG führen solche Pflichten nicht zu einer zeitlichen Weisungsgebundenheit. 
  • eine Anwesenheitspflicht des Versicherungsvertreters von täglich vier Stunden
  • die Bereitstellung eines Firmenwagens durch den Unternehmer
  • mangelnde Innen- oder Außenorganisation des Vertreterunternehmens
  • die Einordnung in eine betriebliche Hierarchie
  • die Verpflichtung, ein bestimmtes Mindestsoll zu erreichen, welches keinen Spielraum hinsichtlich der Arbeitszeit belässt
  • vollständiger Ersatz der beruflichen Aufwendungen durch den Unternehmer
  • die Verpflichtung, an bestimmten, nicht produkt- oder vertriebsbezogenen Veran- staltungen (Schulungen etc.), regelmäßig teilzunehmen
  • die Verpflichtung, dem Unternehmer regelmäßig in kurzen Abständen detaillier-te, über das übliche hinausgehende Berichte zukommen zu lassen (dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch der Vertreter berichtspflichtig ist, die Betonung liegt also auf „unüblich“)

  • Forderung nach Übermittlung einer Drei-Monats-Produktionsvorschau, aufgeteilt nach einzelnen Produktionssparten, mit einer seriösen Prognose der prozentualen Gewichtung der Abschlüsse pro Kunde. Diese Weisung gehe über die Bemühungs- pflicht nach § 86 Abs. 1 hinaus

  • die Zahlung einer echten Mindestprovisionsgarantie, wobei letztlich die Höhe entscheidend  ist

  • die Zahlung von Aufwendungsersatz über das handelsübliche Maß hinaus, ins- besondere als monatliches Fixum, wobei es bei diesen Merkmalen auf den Umfang ankommt, also auf die Höhe der vom Unternehmer geleisteten Zahlungen

  • die Verpflichtung, während des Urlaubs für Ersatz zu sorgen

  • Anordnung von Urlaubssperren, weil hierdurch die Bestimmung der Arbeitszeit ein-geschränkt wird

  • Statusvergleich, d.h., wenn der Mittler Tätigkeiten wahrnimmt, die zuvor oder bei Anderen unzweifelhaft Unselbständige ausgeführt haben

  • falls der Mittler regelmäßig zur Berichterstattung persönlich zu erscheinen hat

Merkmale,
die sehr stark für das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses sprechen

Diese Gruppe bilden Merkmale, denen bei der Bestimmung der Unselbständigkeit großes Gewicht beigemessen wird. Sie führen zu in den Kerngehalt der Selbständigkeit  eingreifenden  Beschränkungen.

In diese Gruppe fallen:

  • die uneingeschränkte Verpflichtung, allen Weisungen des Unternehmers Folge leisten zu müssen (Direktionsrecht nahekommend)
  • wenn der Mittler in Bezug auf seine Tätigkeit und die Art ihrer Ausübung einer umfassenden Kontrolle unterliegt
  • falls der Handelsvertreter in die hierarchisch gegliederte Organisationsstruktur des Unternehmers eingebunden war und seine Tätigkeit weder inhaltlich frei gestalten noch seine Arbeitszeit bestimmen kann
  • sofern die Leistungen im Rahmen einer vom Unternehmer bestimmten Arbeitsorganisation mit umfassendem Weisungsrecht des Unternehmers hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Dienste erbracht werden
  • Recht zur spontanen Revision, Geschäfts- und Kassenkontrolle durch den Unternehmer
  • Versetzungsrecht in den Innendienst
  • Verpflichtung zur täglichen Berichterstattung
  • Tätigkeit mit Stechkarten
  • Verpflichtung oder tatsächliche Übung, in Räumen des Unternehmers zu arbeiten, ggf. mit festen Arbeitszeiten, dessen Firmenpapier zu nutzen oder die sonstige Eingliederung in den Betrieb des Unternehmers
  • die Unterstellung unter die Arbeitsordnung des Unternehmers und die Erklärung der  Tarifvertrag gelte für die Bezahlung
  • örtliche Weisungsgebundenheit, etwa in Hinblick auf den Tätigkeitsort
  • die Verpflichtung, ein bestimmtes Mindestsoll – auf hohem Niveau – zu erreichen
  • Mindestzeiten, Tages-, Dienstpläne und Arbeitspensen
  • wenn dem Mittler die zu besuchenden Kunden und die Besuchstour
    vorgeschrieben werden
  • feste Arbeits- und Urlaubszeiten
  • die Vereinbarung über Urlaubsanspruch und Zahlung von Urlaubsgeld
  • Versetzungsrecht
  • zeitliche Weisungsgebundenheit
  • die Verpflichtung, Fehlzeiten nachzuweisen
  • Vertretung des Mittlers durch Personal des Unternehmers in Urlaubszeiten
  • die Verpflichtung, Adresslisten abzuarbeiten, insbesondere in Verbindung mit dem Verbot der Kundenwerbung aus eigener Initiative;
  • die Vornahme von Abzügen für Lohnsteuer und Sozialversicherung an den Bezügen des Geschäftsmittlers, mögen diese auch nur in Provisionen bestehen
  • die Zuweisung von Lehrlingen zur Ausbildung
  • die Einrichtung der Geschäftskonten bei Banken und Postscheckamt ausschließlich auf den Namen des Unternehmers
  • das Verbot, Untervertreter oder Mitarbeiter einzustellen, wohl auch Zustimmungsvorbehalte, falls die Zustimmung – vertraglich fixiert – nicht unter bestimmten, keine erhebliche Hürde aufstellenden Umständen erteilt werden muss. Diese Beschränkung setzt dem Geschäftsumfang des im Außendienst Tätigen nämlich zu enge Grenzen. Der Selbständige kann grundsätzlich nicht zu einem bestimmten maximalen oder minimalen Geschäftsumfang verpflichtet werden. Ihm muss die rechtliche Möglichkeit zu geschäftlicher Expansion offen stehen. 

Liegen einzelne in diese Gruppe fallende Merkmale vor, hat das nicht immer zwingend ein Beschäftigungsverhältnis zur Folge, wenn andere Merkmale für die Selbständigkeit sprechen. Es ist eine Frage der Gesamtschau, Abwägung und Würdigung im Einzelfall.

Anwalt für Handelsvertreterrecht
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Rechtsanwalt Norbert Wolff

Seit 28 Jahren Anwalt für Handelsvertreterrecht. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und München. Tätigkeit bei einer Bundesbehörde und als Richter mit einer Abordnung an ein Landes-Justizministerium. Von 1995 bis September 2023 Geschäftsführer eines Handelsvertreterverbandes mit beratender und forensischer Tätigkeit. 28 Jahre Prozesserfahrung bei der Geltendmachung von Ausgleichsansprüchen nach § 89b Handelsgesetzbuch (HGB) und der Geltendmachung von Buchauszügen und Provisionsansprüchen.